Donnerstag, 5. September 2013

Go with the flow in Arugam Bay

An unserem ersten Abend in Arugam Bay steigt eine Party. Ein Hotel feiert seinen 50. Geburtstag. Ich bin ein wenig erstaunt, dass vor 50 Jahren hier schon Hotels gebaut wurden. Da unsere Abende in den vergangenen Wochen sehr ruhig waren (essen gehen, lesen, was trinken, meistens früh ins Bett) kann eine Party nicht schaden. Als wir um 22 Uhr ankommen, legt bereits ein DJ auf, tanzen getraut sich jedoch noch niemand. Es geht eine Weile, bis die Feier in Gang kommt. Wir trinken ein paar Arrak Sprite (Arrak ist der nationale Schnaps). Bald sind wir ein wenig angetrunken - und müde. Wir verlassen die Sause noch vor Mitternacht und machen uns auf den “Heimweg”. Vor unserem Gästehaus machen sich gerade ein paar junge Touristen startklar für den Ausgang. Mit einer Flasche billigem Prosecco laufen sie richtig Zentrum. Wir kommen nach Hause während die 10 Jahre Jüngeren erst aufbrechen. Wir haben es ja bereits geahnt, aber solche Szenen führen uns ganz deutlich vor Augen: wir werden älter. Früher waren Jonas und ich beide unabhängig voneinander sofort am Start, wenn es was zu feiern gab. Und oft bei den letzten, die nach Hause kehrten. Und heute? Wir feiern immer noch gern, aber nicht um jeden Preis. Diesmal sind wir froh, um Mitternacht schlafen gehen zu können. Wie sich die Zeiten doch ändern.

Die Tage in Arugam Bay sind sehr entspannend. Unsere Unterkunft besteht aus ein paar Follys (ein Bett, bedeckt von einem Strohdach und umgeben von einer Art Vorhängen), Cabanas und einem Zelt. Die erste Nacht verbringen wir im Folly, schlafen also fast unter freiem Himmel. Wie schön, beim Einschlafen und Aufwachen den Wellen zu lauschen. Die folgenden Nächte sind wir im Zelt, ausgestattet mit Bett, Strom, Toilette und allem was man so braucht.

Tagsüber hängen wir in unserem “Garten”, am Strand, Jonas surft, ich gehe mal ins Yoga. Die Stunde lautet “Yoga Flow & Pilates”. Ich freue mich darauf, wieder einmal meine Muskeln zu spüren, aber daraus wird nichts. Die Lektion besteht vor allem aus Dehnübungen (und ja, ich habe während der Reise deutlich an Beweglichkeit eingebüsst). Was es mit Pilates zu tun hat bleibt mir ein Rätsel, und Flows von Yogaübungen haben wir auch keine gemacht. Naja, ein Versuch war’s wert. Dafür ist das Ayurveda, das wir nochmals buchen, eine wahre Wohltat.

Wir treffen Rash, der schon lange im Tourismus arbeitet und uns mit seinem Tuk-Tuk an etwas abgelegene Strände fährt. Der hilfsbereite Tuk-Tuk-Fahrer ist circa 40 und hat durch das viele Rauchen eine Louis Armstrong-Stimme. Rash hat zwei Töchter, seine erste Tochter ist beim Tsunami ums Leben gekommen. Er hat in Saudiarabien als Taxifahrer gearbeitet, als der Tsunami über Arugam Bay hereinbrach, sein Haus, sein Tuk-Tuk und vor allem seine kleine Tochter mitriss. Er erläutert uns, wie ganze Familien im Ort ausgelöscht wurden. Rash erzählt seine Geschichte ohne Wut, hat das Schicksal akzeptiert. Trotzdem, ich kann mir kaum vorstellen, wie es für ihn gewesen sein muss, in der schlimmsten Stunde seiner Familie im Ausland gewesen zu sein. Hilflos und weit weg.

Ich kann die Wucht des Tsunamis nur schwer vorstellen. Auch den Leuchtturm am “Lighthouse-Beach” hat er bis auf den Sockel mitgerissen. Der Strand ist einsam, außer uns sind noch etwa vier andere Touristen und ein paar einheimische Jungen vor Ort. Perfekt für Jonas, in Ruhe zu surfen. Der Main Point in Arugam Bay ist diese Tage ziemlich überloffen, manchmal tummeln sich 30 bis 40 Surfer im Wasser. Als Jonas im nach der perfekten Welle sucht, versammeln sich die Jungs um mich, wollen fotografiert werden, meine Sonnenbrille anziehen und natürlich Geld haben. Geld gibt’s keines, aber ein paar Kaugummis habe ich noch. Zufrieden kauend ziehen sie zu den nächsten Touristen.

In Arugam Bay lässt es sich gut einige Tage verweilen. Für Leute die “nur” schwimmen und sonnenbaden, (und nicht surfen) möchten, gibt es in Sri Lanka besser Strände. Die Wellen sind für meinen Geschmack zu stark zum schwimmen. Ich komme mir vor wie in einer Waschmaschine, immer wieder werde ich durchgespült. Und, wer unter Kynophobie leidet, sollte Arugam Bay ebenfalls meiden. Im Ort wimmelt es von Hunden. Zu jeder Unterkunft scheinen 1 bis 2 Hunde zu gehören - dies sind meist die etwas gepflegteren Exemplare. Hinzu kommen unzählige Strassenköter. Nachts, wenn der Tuk-Tuk-Verkehr abnimmt, übernehmen die Vierbeiner die Strasse. Wir beobachten richtige Strassenkämpfe, als ob die Hunde in Gangs organisiert wären. Sie bellen, jaulen und heulen in die Nacht. Es gibt in ganz Sri Lanka Strassenhunde, aber nirgends haben wir so viele wie in Arugam Bay gesehen. Vielleicht, weil sie andernorts “gerettet” werden? In Negombo hat ein Restaurantbesitzer 18 Köter vom Schicksal auf der Strasse erlöst. Wenn man das Restaurant besucht, erhält man zur Karte eine Buch, in dem die Taten des Engländers samt Foto von jedem einzelnen Hund abgedruckt sind. Das nenn ich ein Herz für Tiere.

Zum Schluss noch eine weitere Episode der Serie Pleiten, Pech und Pannen: Jonas mietet ein Surfbrett, bezahlt. Ich frage, ob er mir das Portemonnaie wieder geben möchte. Nein, er hat’s jetzt schon in seinen Badehosetaschen verstaut, er gibt’s mir später. Bei den Wellen angekommen ist die Vorfreude aufs Surfen so gross, dass das Portemonnaie vergessen geht. Jonas erst einmal im Meer, will ich mir etwas zu trinken holen. Ich suche das Portemonnaie in der Tasche. Den Rest der Geschichte könnt ihr euch denken, irgendwo im indischen Ozean schwimmt ein Geldbeutel (mit ID, Kreditkarte, Fahrausweis)…

Und kulinarisch?
In Arugam Bay lassen wir es uns noch mal richtig gut gehen. In lokalen Restaurants geniessen wir hervorragende Currys. Zweimal essen wir im Restaurant Hideaway. Für sri-lankische Verhältnisse etwas teuer, was sich aber lohnt. Im schicken Restaurant wird Fusionsküche vom Feinsten serviert. Die fünf angebotenen Menus wechseln jeden Tag, je nach Saison und lokalem Angebot.

Von Arugam Bay nehmen wir das Taxi zurück nach Negombo. Mit dem Taxi sind es acht Stunden Fahrt, man kann sich ausrechnen wie lange wir mit den ÖV bräuchten. Allerdings ist die Sache mit 20’000 Rupien (rund 140 Franken) eine teure Angelegenheit. Rash verspricht uns ein Taxi für 18’000 zu organisieren. Wir fragen noch rum, vergleichen die Preise, verhandeln. Unter 18’000 fährt niemand. Also nehmen wir die Empfehlung von Rash. Der braucht jetzt plötzlich doch 19’000. Zähneknirschend willigen wir ein. Wir fahren um 9 Uhr los. Unser Taxifahrer hat noch nicht gefrühstückt, also halten wir nach einer kurzen Zeit für eine Frühstückspause. Dafür esse er keinen Lunch. Nach fünf Stunden Fahrt verspüren wir einen Hunger, bitten den Taxifahrer anzuhalten, damit wir etwas zu essen besorgen können. Wir haben uns eigentlich gedacht, wir holen irgendwo einen Snack. Der Taxifahrer hält an einer Raststätte, wo Curry serviert wird. Da Jonas wirklich sehr hungrig ist, geht das auch in Ordnung. Der Kellner deckt für drei, gemeinsam mit dem Taxifahrer essen wir das aufgetischte Mittagessen. Als der Kellner mit der Rechnung im Anmarsch ist, verzieht sich der Taxifahrer schon mal zum Auto. Wir bezahlen die 1850 Rupien für drei Mittagessen. In Negombo angekommen erklären wir dem Taxifahrer, dass es nicht abgemacht war, dass wir sein Mittagessen bezahlen, und dass wir 600 Rupien von den 19’000 abziehen möchte. Er protestiert lautstark, andere Taxifahrer mischen sich ein. Sie sagen uns, 19’000 sei sowieso viel zu viel, sie würden für 14’000 nach Arugam Bay fahren. Der Preis war abgemacht, obwohl wir das Gefühl haben, viel zu viel zu bezahlen, halten wir uns daran. Wir versuchen aber unserem Fahrer zu erklären, dass wir erwartet hätten, dass er uns sagt wenn wir sein Mittagessen auch berappen müssen. Er jammert, aber wir bleiben hart. Diese Situation ist exemplarisch für die Kommunikation (oder besser gesagt die Nicht-Kommunikation) in Sri Lanka. Oft kommunizieren die Sri-Lankesen nur das absolute Minimum, alles darüber hinaus müssen wir erfragen oder erahnen. Es sind wahrscheinlich die kulturellen Unterschiede, die in einer unterschiedlichen Form der Verständigung ihren Ausdruck finden. Ich denke nicht, dass Berechnung dahinter steckt. Trotzdem erschwert uns dies manchmal das Reisen, das Verstehen.

Knapp drei Wochen Sri Lanka liegen hinter uns. Meiner Meinung nach reichen drei Wochen, um die Insel zu entdecken. Sri Lanka ist auf alle Fälle eine Reise wert. Die Insel lebt vor allem von ihrer wunderschönen Landschaft: Das satte grün in den Bergen, die paradiesischen Strände, die Elefanten… Zudem ist Sri Lankas Küche ist hervorragend. Besonders geschmeckt haben uns die vielen Currys, aber auch die Snacks und vor allem die Früchte und Fruchtsäfte. Etwas gewöhnungsbedürftig war für uns die Langsamkeit, mit der hier alles von statten geht. Busse brauchen für kurze Strecken eine halbe Ewigkeit, aufs Essen warten wir manchmal eine Sunde oder mehr und auch Blogbeiträge hochladen im Internet braucht teilweise viel Geduld. Wir witzeln, dass das einzige was in Sri Lanka schnell ist, die Sprache ist. Wenn die Einheimischen auf Singhalesisch sprechen, ist es als würde ein Maschinengewehr seine Schüsse abfeuern.

Eingeprägt haben sich mir die Gerüche Sri Lankas. Es riecht immer ein bisschen nach Feuer. Den Strassenrand zäumen unzählige kleine Kehrichtverbrennungsanlagen, dazu kommen die kleinen Feuerchen auf denen Einheimische kochen. Wenn es nicht nach Feuer riecht, duftet es nach Räucherstäbchen, die quasi überall glühen und deren Geruch ich sehr mag. 

Vom Bürgerkrieg, der erst vier Jahre zurückliegt, spüren wir als Touristen nichts. Die meisten Sri-Lankesen sind aufgestellte Leute, mit Sinn für Humor. Feindseligkeiten gegenüber Landsleuten spüren wir keine. Möglicherweise lassen sie solche Gefühle nicht an die Oberfläche. Der Friede herrscht heute, weil die Regierung alle Rebellen getötet hat, und nicht weil ein Friedensabkommen geschlossen wurde. Aber die Rebellen haben Familien, die Opfer der Tamil Tigers haben Familien… Und wenn ich sehe, wie lange der Friedensprozess in anderen Staaten dauert, kann ich mir kaum vorstellen, dass hier nach vier Jahren alles vergessen und verziehen ist. Wir versuchen ein paar Mal die Leute auf den Krieg anzusprechen, zum Beispiel indem wir sagen dass in der Schweiz viele Tamilen leben, die vor dem Krieg geflüchtet sind. Aber nie geht ein Einheimischer darauf ein. Vielleicht sind die Leute hier Meister im Verdrängen? Ich weiss es nicht. Eines der vielen Rätsel nach drei Wochen in Sri Lanka.

Die letzten Tage schleicht sich die Wehmut bei uns ein. Wir sind am Ende unserer 10-wöchigen Reise angelangt, bald fliegen wir nach Hause. Obwohl wir uns beide sehr freuen, Familie und Freunde wiederzusehen, sind wir ein bisschen traurig. Wir müssen Abschied von einer intensiven Zeit nehmen, wir haben viel erlebt und gesehen. Bald wird der Alltag wieder einkehren. Aber wir sind sehr dankbar, die Möglichkeit gehabt zu haben, gemeinsam so lange Ferien verbringen zu können. Es ist mir gelungen, richtig abzutauchen, mich auf das Erlebte einzulassen, andere Welten zu entdecken. Wahrscheinlich waren dies die intensivsten Wochen meines Lebens. Und wir wissen, dass wir privilegiert sind. In den Ländern in denen wir unterwegs waren, haben wir viele Menschen getroffen, die überhaupt noch nie im Ausland waren. 


Unsere Bleibe





Strand von Arugam Bay



Strand von Lighthouse






Fusionsküche im Hideaway



Einmal mehr: sri-lankisches Curry



Vorwarnung, dass es etwas länger dauern könnte..








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